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Willi Weglehner: Der Viehhändler Es ist eine gar grausige Geschichte, in der ein jähzorniger Viehhändler im Fränkisc
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ISBN 3-9809649-0-6

9 783980 964906

rz3_vieh_01.indd 1

Willi Weglehner Roman

Der

Roman

mabase verlag

Roman Der Viehhändler ist ein Unhold, der mit Mensch und Tier in gleicher Weise schöpfungsverachtend umspringt. Zuletzt hat er es auf den Postboten Leonhard Gerber abgesehen, den er in seinem Jähzorn lebensgefährlich verletzt. Den erstarkenden Nationalsozialisten erscheint er der geeignete Mann Willi Weglehner, für den Posten eines OrtsgruppenJahrgang 1948, geboren in leiters. Thalmässing/Mfr., besuchte von 1958-1967 das Humanistische Mit dem eher zufälligen Erwerb Gymnasium in Windsbach und war eines fast lebensunfähigen in dieser Zeit durchgehend Sänger Stierkalbes, dessen verborgenen im Windsbacher Knabenchor. Von Wert er fachmännisch erkennt, 1973 bis 2000 arbeitete er als Grundtritt eine scheinbare Wandlung bei und Hauptschullehrer in seiner Heimatgemeinde. Seitdem ist er dort ihm ein. Er päppelt das Tier auf als freier Schriftsteller tätig. zu einem Prachtexemplar und tritt mit ihm einen Siegeszug auf allen bedeutenden Ausstellungen im Reich an. Vor der Präsentation in der Reichshauptstadt ist der junge Stier plötzlich verschwunden. Die Spur führt nach Spanien...

Willi Weglehner

Der Viehhändler

Der Viehhändler

mabase verlag

mabase verlag

19.04.2005, 10:36:16

Ein Verlag, der verbindet

© Willi Weglehner und mabase-verlag Titelgrafik: Elke Löffler, Löffler-Design Fotos: Dr. Elke Heinze, Martin Backhouse, Elke Löffler Druck: buch bücher dd ag, Birkach 1.Auflage 2005, mabase-verlag, Nürnberg http://www.mabase-verlag.de Fax: 0911-68 80 406 ISBN 3-9809649-0-6

„Dieses Buch wurde auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozialverantwortliche Nutzung der Wälder unserer Erde einsetzt.“

Menschen und Schicksale auf dem Lande in der Zeit des beginnenden Faschismus

Ein Verlag, der verbindet

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Jürgen Hofmann zum Dank, der eine Spur legte, die nicht enden will.

Ich bedanke mich bei Familie Maria, Fritz und Sylviane Assenbaum, Thalmässing Frau Ilse Aufochs, Nürnberg Herrn Dr. Hermann Beckstein, Bonn Herrn Arno Hamburger, Israelitische Kultusgemeinde, Nürnberg Herrn Martin Hauke, Thalmässing Herrn Jürgen Kleck, Mitterrohrenstadt Herrn Fritz „Weißlein“ Lederer, Thalmässing Herrn Dr. Ferdinand List, Frankfurt am Main Familie Germaine Petury, Daniel Collin, Troyes, Frankreich Frl. Michaela Wiedmann, München Mein besonderer Dank gilt meinem alten Windsbacher Freund Christian Schmidt, Dekan an St. Lorenz, Nürnberg

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Bereits um neun Uhr dieses Junivormittags im Jahre des Herrn 1929 zeigte die sonst immer segenspendende Sonne ihr garstiges Gesicht, zumindest für den guten Briefträger Leonhard, der im Schweiße seines Angesichts und weiterer Körperteile den steinigen Fuhrweg zu der Einöde hinaufstieg. Er hatte dort und an anderen vergleichbaren Orten sowohl offizielle Post als auch andere Druckerzeugnisse abzuliefern, die sehr schwer wogen in seiner schwarzen Umhängetasche. Die Sonne also, die sonst segenspendende in erster Linie für die Landwirte, aber auch für sein klein Gärtlein daheim, das er mit Hingabe und außerordentlicher Liebe pflegte, brannte nicht nur, sondern sie stach hundsgemein auf seine Postmütze, die er von Zeit zu Zeit abnahm, um sich den Schweiß wenigstens vom Haupt zu wischen mit seinem überdimensionalen Schweißtuch, das gleichzeitig als Schnupftuch diente. Er war fast oben, als sich ein Pferdefuhrwerk unter großem Gerumpel und Peitschengeknalle von hinten näherte. Leonhard hielt inne in seinem beschwerlichen Gang und verschnaufte ein Weilchen, um vielleicht mit dem anhetzenden Fuhrmann ein kleines Gschmuß halten zu können, nicht nur wegen des kurzzeitigen Ausruhens, sondern um einige Neuigkeiten zu erfahren, welche die Postboten immer gerne an die weitentfernten Haushalte weitergaben. Dafür wurden sie dann von den Bauern zum Mittagessen eingeladen, und es gab im schlechtesten Fall Nudeln mit Preiselbeeren oder Preiselbeeren mit Nudeln, im besten Fall ein schönes Kesselfleisch, mit herrlichem Sauerkraut, Schweinerüsselchen, Nierlein und Leber garniert. Im Falle dieses ungnädigen Junivormittages gab es weder dies noch jenes, da der Fuhrmann Schorsch auf seinem Gefährt die Peitsche schwang, seine Pferde quälte und, als er

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des Postboten ansichtig geworden war, sich einen Spaß daraus machte, nach der Dienstmütze zu zielen und diese mit einem wohlbestellten Hieb ungefähr sechsundzwanzig Schritte durch die Luft wirbelte. Der Postbote Leonhard hatte ihn erkannt, als er sich umdrehte, aber es war zu spät, sich zu ducken. So blieb ihm nur noch, zu zischen: Viechhandler, Lump, varreckta, und seine Dienstmütze zu suchen. Vielleicht hatte er auch insgeheim gehofft, ein Stück Weges mitgenommen zu werden. Gerade deshalb steigerte sich sein Zorn auf den ungehobelten und arroganten Viehhändler derart, daß er, nachdem er seine Dienstmütze endlich in einem Dornenbusch gefunden und herausgeholt hatte, wobei er sich in seiner fahrigen Vorgehensweise erhebliche Verletzungen an der rechten Hand zuzog, sich eine schattige Stelle unter einer riesigen Fichte, deren mächtige unteren Äste rund um den Stamm ein fast domartiges Gebilde erzeugten, suchte, sich dort niederließ, zunächst den Flachmann mit dem hochprozentigen Branntewein, den er immer, vor allem in den eiskalten Wintermonaten bei sich hatte, öffnete und den dann folgenden Schluck mit einem wohligen Ahhh beendete. Dann leckte er seine Schwären der rechten Hand, legte einen notdürftigen Verband mit seinem Schweißschnupftuch um diese, nahm noch einen Schluck und noch einen, so daß der Flachmann bald leer war. Darüber kam er ins Grübeln über die Ungerechtigkeit auf der Welt. Doch sein Zorn verflog langsam, er wurde zunächst heiter, dann müde. Und so nahm er die schwarze Posttasche, deren Inhalt er eigentlich hätte zustellen müssen, legte sie wie der biblische Jakob den Stein unter seinen Kopf, ließ den Herrgott und das Postamt einen guten Mann sein und sank in Morpheus´ gütige Arme.

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Als die niedergehende Sonne bereits lange Schatten zeichnete, und es in seinem Fichtendom dunkel und fast schon kühl geworden war, erwachte er grunzend und wollte sich gerade auf die andere Seite drehen, als ihn das laute Gerumpel und Peitschengeknalle eines Fuhrwerkes blitzartig in die Realität dieses Junitages, der schon fast in die Nacht übergehen wollte, zurückführte. Er erkannte auch sogleich die Stimme des Viehhändlers, der offensichtlich einige Bauern gehörig über den Tisch gezogen, einen Teil seines Profits in verschiedenen Wirtshäusern versoffen hatte und nun unflätige Lieder grölte. Leonhard wurde schlagartig nüchtern, denn er erkannte, daß dies nun die einzige Möglichkeit war, einigermaßen unbeschadet und zur rechten Zeit heimzukommen. Denn er Amtsvorsteher.

fürchtete

sein

Weib

mehr

als

den

So duckte er sich hinter einen Brombeerbusch, ließ das Fuhrwerk vorbei, rannte einige Meter hinterher, warf die schwarze Posttasche und dann sich selbst obenauf. Der Viehhändler hatte von alledem nichts bemerkt, grölte wieter und trieb seine Rösser unbarmherzig zur Eile. Leonhard war´s zufrieden, nickte wieder etwas ein und wurde doch gleich sehr unsanft geweckt. Die Eile des Viehhändlers nämlich war nicht unbegründet gewesen, wollte er doch auf dem Heimweg noch ein Wirtshaus unsicher machen. Und so mußte er den armen Postboten Leonhard auf dem Wagen entdecken, brummte kurz Ha, Bürscherl, jetzt gehst mit und zog ihn am Schlawittchen in die Kneipe, in der die Ausgepichtesten hockten und anscheinend nur auf die Ankunft des Unholdes gewartet hatten.

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Als dieser dann auch noch den Postboten hereinschleifte, kannte die diebische Freude keine Grenze. Sie gossen ihm den Schnaps so unbarmherzig ein, daß er nach zwei Stunden nicht mehr ein noch aus wußte und schließlich alles wieder auf den Tisch kotzte. Der Viehhändler meinte, ihn dafür bestrafen zu müssen, vor allem, weil dieser den eben angebrochenen Tagabend so unrühmlich beendete. Denn der Wirt warf die ganze Bande schnurstracks hinaus. Draußen schüttete der Viehhändler unter unsäglichem Gelächter der Zechbrüder die schwarze Posttasche aus, und Leonhard mußte, ob er wollte oder nicht, alles wieder einsammeln. Dies hätte der Viehhändler nicht tun sollen, denn ein Brief, ein amtlicher sogar, war unter das linke Hinterrad des Fuhrwerkes gerutscht und wurde durch das abrupte Anfahren, nachdem sie den Postboten wie einen Mehlsack wieder auf die Ladefläche geworfen hatten, völlig zermalmt. Es war ein Brief vom Amtsgericht an den Viehhändler. Die kleine Häuslerhütte des Postboten stand am Ortsrand. Alles war bereits stockdunkel. So, wie er den Umgang mit seinen Tieren pflegte, zerrte er den völlig besoffenen Leonhard vom Fuhrwerk, warf ihn vor die Haustür, schob ihm die Posttasche unter den Bauch, so daß dieser nochmal fürchterlich spie, ohne daran ersticken zu müssen, schlug dreimal kräftig mit seinem Stock an die Haustür, wartete, bis drinnen ein Licht anging und stob schließlich mit seinem Fuhrwerk unter diabolischem Lachen davon.

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Leonhard erwachte mitten in der Nacht. Er war nicht in der Lage, seinen Stand- beziehungsweise Liegeort, alle anderen Umstände geschweige denn sich selbst zu bestimmen. Den tumben Kopf etwas hebend, gewahrte er gelbgoldiges Licht. Unter unsäglichen Mühen versuchte er, dessen Quelle ausfindig zu machen. Aber das Licht flatterte mal hierhin, mal dorthin, zog flammende Bögen über einen unsichtbaren, weil kohlschwarzen Horizont. Seine stieren, weit aufgerissenen Augen folgten diesen Flammenbögen, bewegten seine körperlichen Empfindungen dahingehend, daß der kohlschwarze Horizont, dessen Erreichbarkeit sie verzweifelt suchten, schließlich jegliche Grenze verlor. Fast gleichzeitig begann es an verschiedenen Stellen flammengelb zu wogen und zu tosen. Leonhards Augäpfel überwarfen sich im Versuch des Erkennens, rollten gegeneinander und übereinander, zogen sich gleich wieder schmerzhaft zur Nase hin zusammen, um dann sofort die völlig entgegengesetzte Nähe der Ohren zu suchen. Danach zuckten sie im Wechselspiel aus den Höhlen hervor und zurück wie die Fühler der Schnecken in seinem Häuslergärtlein. Leonhard fühlte sich sowohl über sich selbst als auch um die eigene Achse geworfen, alles in einem mörderischen Tempo, das er vorher nie erlebt. Die Flammenbögen kamen immer näher, aus ihrem geordneten Gefüge zuckten Fingerchen, fraßen sich empor in den pechschwarzen Horizont, der sich daraufhin in eine halbkugelförmige, orange-grauviolette Räumlichkeit verwandelte, in der ganz langsam aus allen Richtungen schweflige Rauchstangen wuchsen. Leonhard wähnte sich diesen Geschehnissen in wechselnder Folge von schweißnassem Zittern zu eiskalter Erstarrung völlig ausgeliefert, versuchte, den inzwischen zu

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grauenhafter Größe gewachsenen Flammenklauen immer wieder zu entkommen, hustete den nach ihm greifenden, gräßlich stinkenden Rauchstangen ein heiseres Nein, nein, nein entgegen, seine schnapsgeschundene Kehle konnte kaum mehr menschliche Laute hervorbringen. Da schälten sich jäh aus den flammenden Klauen des teuflischen Feuersturms langgreifende dürre Hände hervor, schorfig, mit riesigen Warzen animalischer Strukturen, veränderten ihre Farbe von orangegrauviolett nach einem fahlen Todesgrün, verlängerten sich zu knochenen, mit Hautfetzen spärlich bedeckten Armen, welche den irren Blick Leonhards zu einem unbeschreiblichen Fratzenkopf mit blitzgelben Augen zwangen, aus denen pausenlos Funken stoben, die dem armen Postboten seinen gesamten verbliebenen Haarkranz versengten und damit unwiederbringlich dem Höllenfeuer preisgaben. Der Fratzenkopf verblies Todesodem, Leonhard gewahrte die spitzen Hörner des Teufels, die zuerst planlos, dann immer gezielter nach ihm stießen. Dem Teufelskopf folgte der drachenhafte Leib Luzifers, der, bewehrt mit von grünlichem Gift triefenden Krallen, die sich in der Bettdecke festhakten und diese aufrissen, wo sie ansetzten, daß die Federn wirbelten, sich unaufhaltsam dem armen Menschenkind näherte. Leonhard versuchte, seine Hände zu heben. Doch sie versagten ihren Dienst. Nicht einen Finger konnte er bewegen. Das diabolische Ungeheuer drückte sich auf seinen Oberkörper, Leonhard entwich die letzte Luft aus den Lungen. Langsam, ganz langsam, um ihm den Tod extra schwer zu machen, schlich es zischend und züngelnd heran, der vordem rabenschwarze Horizont war nun ein einziges kochendes Feuermeer. In seiner Todesangst gelang es der armen Seele

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trotzdem, der Höllenbrut eine Hand entgegenzusetzen; diese verschwand sofort im Rachen des Ungeheuers, das dieselbe binnen Bruchteilen von Sekunden zerhackte. Leonhard spürte einen stechenden Taumel von Schmerz, der Raum, immer noch nicht faßbar, quoll auf in Feuer und Rauch, das Ungeheuer der teuflischen Art öffnete erneut langsam seinen Schlund. Leonhard sah einen blutgetränkten Echsenkranz pfeilgeformter Zähne, spürte den Vulkanhauch des Maules nun unmittelbar vor sich und schrie wieder und wieder Nein,nein,nein, schlug mit Armen und Beinen um sich und traf dabei sehr hart sein Weib Käthe. Käthe war kurz vorher erwacht und hatte versucht, den wimmernden und keuchenden Gemahl vor weiterer halbdelirender Qual zu bewahren, wußte sie doch, in welchem Zustand er das traute Heim erreicht hatte. Nun auf eine derartige Art für ihre fürsorglichen Bemühungen belohnt zu werden, veranlaßte sie spontan, ihrem Leonhard einige kräftige Ohrfeigen zu verpassen, die dem infernalischen Geschehen ein schnelles und damit relativ gnädiges Ende bescherten. Der Höllenbrand war damit sofort gelöscht, obwohl die Kerze am Fußende weiterbrannte, um im Lauf der Nacht schließlich zu verlöschen. Leonhards Weib, die vermeintlich ebenso gestrafte wie ihr Ehemann, versank nach einigen Keifattacken gegen denselben, die er selbstverständlich nicht wahrnehmen konnte, worauf sie es dann seufzend unterließ, in einen unruhigen und vor allem sehr kurzen Schlaf, da sie bereits gegen fünf Uhr sowohl die einzige Kuh und ein Schwein, als auch die drei Ziegen füttern mußte, Tiere, die ihrem Haushalt den Schein einer gewissen Autarkheit verliehen. Gleich danach kamen die Hühner dran, die schon lauthals in den frischen Morgen hineinschrieen.

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Leonhard hörte von alledem nichts, denn er war um sieben Uhr noch bewußtlos. Dies veranlaßte sein Weib Käthe, die nicht nur infolge der geraubten Nachtruhe im besonderen, sondern einfach aufgrund sich wiederholt habender Ereignisse gleicher Art in der letzten Zeit, für die leider Leonhard selbst zeichnen hatte müssen, ihm, der in voller Montur nun schon mehr neben als auf dem Bett lag, einen Eimer frischen Brunnenwassers über den trunkenen Kopf zu schütten. Leonhard schüttelte sich wie ein Betz, begriff immer noch nichts, stand aber ächzend auf, warf im Tran seine schwarze Posttasche über die Schulter, setzte die Dienstmütze auf sein triefendes Haupt und wankte davon in Richtung Postamt. Der dort bereits anwesende Amtsvorsteher, dem man nachsagte, er litte entweder unter greisenhafter Bettflucht oder auch unter der Flucht vor seinem herrischen Weibe, zeigte sich oberflächlich erfreut über die scheinbar sehr positive Dienstauffassung seines Untergebenen Leonhard, nahm darob eine Prise Schnupftabak ein und widmete sich wieder der Lektüre des Lokalblattes, ohne von dem Besoffenen weitere Notiz zu nehmen. Dieser war während des zwar relativ kurzen, aber für ihn aufgrund seines Zustandes sehr beschwerlichen Weg durch den Ort bis zum Postamt einigermaßen halbwach geworden. So mischte sich in seinen furchtbaren Katzenjammer ein Fünkchen wohltuender Erleichterung darüber, daß der Vorsteher weder sein aschfahles Gesicht noch die gefüllte Posttasche des Vortages bemerkt zu haben schien. Also schlich er sich in den Dienstraum, um dort noch ein Weilchen zu verschnaufen und sich zu besinnen, was am Vortag eigentlich abgelaufen war. Dies wollte ihm bis auf einige Einzelheiten partout

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nicht gelingen. Lediglich dieser verdammte Viehhändler Schorsch ließ seinen Schädel wieder brummen, und er war erleichtert, als endlich die beiden Kollegen Zusteller und die neue Postsendung eintrafen. Die Kollegen sahen ihm sein Ungemach aufgrund eigener Erfahrungen sofort an und versuchten, ihn zu hänseln und auszufragen. Leonhard schwieg. Glücklicherweise war heute für seinen Bezirk wenig Post dabei. Er stahl sich aus der Dienststelle, so schnell es ging und machte sich auf den gleichen Weg wie am Vortag. Zwischendurch versuchte er, diesen Vortag einigermaßen zu rekapitulieren. Einmal fehlte ihm die Erinnerung an dieses, einmal die an jenes. Schnaps, Wirtshaus, Schnaps, Viehhändler Schorsch, domartige Fichte, Peitsche, Fuhrwerk, Dornenbusch, blutige Kratzer an der rechten Hand - all diese Erinnerungen peitschten nach und nach sein geschlagenes Hirn. Während die vormittägliche Junisonne bereits wieder ihre sengenden Strahlen auf den staubigen Weg und seine Dienstmütze schleuderte, besann er sich auf den Punkt des gestrigen Geschehens: Die Verstreuung der Post durch den Viehhändler und Konsorten nach dem Hinauswurf aus dem letzten Wirtshaus! Nun traten dem guten Leonhard noch mehr Schweißperlen auf die Stirn. Hatte er wohl alles wieder richtig eingesammelt, was sie ihm in ihrem gemeinen Übermut auf die Straße geschüttet hatten? Er war an einer Stelle angelangt, an der aus der Kühle des Waldes ein kleiner Quell entsprang. Da er noch immer brannte von den Unmengen

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Schnapses des Vortages, dankte er zunächst dem Herrgott für dieses Brünnlein, formte die Hände zu einem Trinkgefäß und schlürfte das köstliche Naß, bis er nicht mehr konnte und diesen Vorgang wieder mit einem äußerst befriedigten Ahhhh abschloß. Sodann besann er sich auf seine Befürchtung und leerte die schwarze Posttasche aus. Anhand seiner Liste der Zustellungen prüfte er daraufhin den Inhalt der Tasche. Ihm wurde immer leichter ums Herz wegen der Vollständigkeit der Briefe, als ihn umso schwerer das Fehlen des Amtsgerichtsschreibens an den Viehhändler traf. Hatte dieser es entwendet? Hatte er selbst es nicht mehr gefunden? Tödlich quälende Fragen hämmerten in seinem gelähmten Hirn. Leonhard stand auf, warf sich die schwarze Posttasche über die Schulter, setzte die Dienstmütze auf und ging den staubigen Weg weiter. Er war völlig zerstört und schloß mit seinem Leben ab. An der Einöde angekommen, mußte er feststellen, daß alle Menschen, sogar die alte Großmutter, zur Heuernte draußen waren auf dem Feld. Kein Mittagessen, nicht mal Nudeln mit Preiselbeeren oder umgekehrt. Er legte die Post vor die Tür und ging zum nächsten Hof. Hier schlug nichtmal der Hund an. Je mehr Höfe und Einöden Leonhard im Auftrag der Post besuchte, umso mehr verschlechterte sich sein Zustand. Niemand war daheim, alle waren auf den Feldern. Kein Mittagessen, obwohl er inzwischen schon wieder mäßigen Hunger verspürte. Kein Stück Geräuchertes oder einige Eier

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für die Küche daheim. Die Küche daheim - oh Gott! Was würde ihn da wohl erwarten! Leonhard schwor, nie mehr Schnaps zu trinken. Den Rückweg trat er über die Westseite des Berges an. Er hatte sich inzwischen einigermaßen gefaßt, die niederschmetternde Wirkung des Schnapses war zwar noch nicht ganz verschwunden, doch hatte die Luft des Fußweges und die büßerische Beschwerlichkeit desselben seinen Jammer etwas gelindert. Ihm fiel der alte Spruch von dem zänkischen Weib ein, und er nahm sich vor, ihr keinen Ton zu gönnen. Als er den Berg hinabstieg, hörte er von weitem das Gerumpel eines Fuhrwerkes, lautes Peitschengeknalle und irres Grölen häßlicher Lieder. Leonhard warf sich in eine kleine Mulde und ließ den Geistersturm vorbei. Der Brief des Amtsgerichtes, den er fast schon wieder vergessen hatte, bohrte sich wie ein schicksalsweisender Pfeil in sein Herz: Er war verantwortlich und demnach schuldig! Was würde geschehen, träfe den Viehhändler dadurch vielleicht ein Unheil? So dumm war er in diesem Moment noch, der arme Tropf. Doch je mehr er des Weges ging im kühlen Wald, noch dazu abwärts, ordnete er seine Gedanken über diesen Unmenschen, der ihn nicht das erste Mal am gestrigen Tag gequält und gedemütigt hatte und begann, zu lächeln. Ein Plan reifte, und Leonhard lächelte immer mehr. Als er aus dem Dunkel des Waldes heraustrat, hielt er inne und lachte schallend in das weite Tal hinab, ließ sich nieder. Ein wenig Frieden war in seine Seele gekommen, die Wirkung des Schnapses verflogen. Daheim angekommen, beachtete er sein Weib Käthe überhaupt nicht, die die Sache der letzten Nacht wieder auf-

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wärmen wollte, schlug drei Eier in die Pfanne, schnitt eine Scheibe Brotes von dem runden Laib ab, goß sich einen Schoppen Bier ein und aß mit Appetit. Danach setzte er sich auf die kleine Bank vor dem Haus, rülpste ein paar Mal kräftig und begann, den Gedanken des Waldes weiterzuspinnen. Selbst im Bett lachte er noch einige Male, worauf Käthe glaubte, er hätte nun durch den Suff endgültig den Verstand verloren.

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Roman Der Viehhändler ist ein Unhold, der mit Mensch und Tier in gleicher Weise schöpfungsverachtend umspringt. Zuletzt hat er es auf den Postboten Leonhard Gerber abgesehen, den er in seinem Jähzorn lebensgefährlich verletzt. Den erstarkenden Nationalsozialisten erscheint er der geeignete Mann Willi Weglehner, für den Posten eines OrtsgruppenJahrgang 1948, geboren in leiters. Thalmässing/Mfr., besuchte von 1958-1967 das Humanistische Mit dem eher zufälligen Erwerb Gymnasium in Windsbach und war eines fast lebensunfähigen in dieser Zeit durchgehend Sänger Stierkalbes, dessen verborgenen im Windsbacher Knabenchor. Von Wert er fachmännisch erkennt, 1973 bis 2000 arbeitete er als Grundtritt eine scheinbare Wandlung bei und Hauptschullehrer in seiner Heimatgemeinde. Seitdem ist er dort ihm ein. Er päppelt das Tier auf als freier Schriftsteller tätig. zu einem Prachtexemplar und tritt mit ihm einen Siegeszug auf allen bedeutenden Ausstellungen im Reich an. Vor der Präsentation in der Reichshauptstadt ist der junge Stier plötzlich verschwunden. Die Spur führt nach Spanien...

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